24.11.2020
Interview mit Pfarrerin Susanne Fischer-Kremer, Seelsorgerin am Paul Gerhardt Stift und im Hospiz in Wittenberg

(mit Superintendentin Dr. Gabriele Metzner)

Metzner: Seit dem 1. Dezember 2019 bist du Seelsorgerin im Evangelischen Krankenhaus Paul Gerhardt Stift. Was hat dich zu dieser Aufgabe geführt?

Fischer-Kremer: Die Aufgabe kam zu mir! Als ich mich im Frühjahr 2019 nach Möglichkeiten für den Pfarrdienst im Raum Wittenberg umhörte, erfuhr ich, dass die Seelsorgestelle im Paul Gerhardt Stift vakant war. Durch die Arbeit in verschiedenen Kirchengemeinden war mir in den vergangenen Jahren deutlich geworden, dass mir Seelsorge besonders am Herzen liegt. Ich habe nie Mühe gehabt, schnell einen Draht zu den unterschiedlichsten Menschen zu bekommen. Ich hatte mir schon lange eine Gelegenheit gewünscht, die vertiefende Ausbildung in klinischer Seelsorge zu machen. Auf einmal stand die Tür offen, mich beruflich ganz auf die Seelsorge zu konzentrieren. Das war für mich wie ein Wink des Himmels.

Metzner: Wie sieht dein Arbeitsalltag aus?

Fischer-Kremer: Ich bin sowohl im Paul Gerhardt Stift als auch im benachbarten Katharina von Bora-Hospiz unterwegs. Wenn ich am Morgen ins Seelsorgebüro komme, wartet öfter bereits eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter. Meist sind es Pflegende oder Ärzte, die um einen Besuch bei einer bestimmten Person bitten. Die Anlässe sind ganz unterschiedlicher Art: Es kann sein, dass jemand eine schwere Diagnose verarbeiten muss oder in der Phase einer schwierigen Entscheidungsfindung jemandem zum Zuhören braucht.

Manchmal sind es Angehörige, die Gesprächsbedarf haben. Manchmal ist das Gebet mit einem Sterbenden, oder die Aussegnung eines Verstorbenen dran. 

Wann immer ich die Gelegenheit habe, gehe ich über die Stationen und höre mich um. Viele Patientinnen und Patienten können eine Gesprächsmöglichkeit gut gebrauchen, manche Menschen verarbeiten in der Krankheitssituation auch andere einschneidende Erfahrungen aus ihrem Leben. Seit Corona, und besonders in den Wochen, in denen Besuche nur sehr eingeschränkt oder ganz unmöglich geworden sind, kämpfen wir gegen die Vereinsamung.

Manche Menschen möchten auch wissen, warum ich sie besuchen komme. Wenn sie erfahren, dass ich "von der Kirche komme", erfreut das einige, erstaunt es andere, manche reagieren auch ablehnend. Überwiegend mache ich sehr positive Erfahrungen, Menschen sind dankbar, dass ich Zeit habe - das kostbare Gut der Seelsorge im Krankenhaus. 

Auch mit den Mitarbeitenden selbst gibt es wichtige Gespräche, auch im Hinblick auf das Klima im Haus. Ich treffe mich regelmässig mit Mitgliedern der Krankenhausleitung, um die Situation zu reflektieren und meine Arbeit dementsprechend weiter zu planen. Seit Kurzem gehöre ich dem Ethikkomitee des Krankenhauses an. Anhand von konkreten Beispielen im Haus reflektieren und überprüfen wir fachübergreifend das medizinische und therapeutische Handeln in schwierigen Situationen.

Mir liegt auch ein stärkendes, in einem weiten Sinne geistliches Angebot am Herzen - sowohl für die Patienten als auch für die Mitarbeitenden. So finden in gewisser Regelmäßigkeit Andachten, Gottesdienste oder musikalische Veranstaltungen statt, z.B. in der Kapelle oder auch im Foyer des Krankenhauses. Solche Höhepunkte sind zurzeit natürlich leider nur eingeschränkt möglich.

Metzner: Die Situation seit März fordert den Menschen, die im Krankenhaus arbeiten, besonders viel ab. Woran zeigt sich das aus deiner Sicht?

Fischer-Kremer: Ich bewundere die Menschen, die in der Pflege arbeiten. Ich kenne ganz viele, die das mit Herzblut tun und für die Patienten viel von ihrer Lebensenergie geben.

Im Frühjahr musste der reguläre Krankenhausbetrieb weit heruntergefahren werden, einige Stationen wurden geschlossen. Die Mitarbeitenden auf den verbleibenden NichtCovid-Stationen, auf denen also nur die dringendsten Fälle behandelt werden konnten, hatten dafür umso mehr zu tun. Hier häuften sich die Fachrichtungen, die zuständigen Ärzte und Therapeuten - alles musste im Tagesablauf untergebracht werden. Dazu kamen die Unsicherheiten, Sorgen und Ängste im Hinblick auf das Risiko dieser neuen Krankheit - das hat alle gleichermaßen betroffen. Es war eine angespannte Situation.

Im Sommer wurde der Betrieb nach und nach wieder hochgefahren. Nun sind die Infektionszahlen wieder stark gestiegen, es gibt viel Arbeit - und viele Mitarbeitenden hatten keine echte Pause im Jahresablauf. Der Ausnahme-Stress hält für viele einfach schon zu lange an. Das macht sich bemerkbar. Der Krankenstand auch unter den Mitarbeitenden ist in diesen Wochen gestiegen. Immer wieder wird das als Problem angesprochen - nicht etwa eine Knappheit an Betten, sondern eine Knappheit an personellen Ressourcen.

Metzner:  Wie hilft dir dein Glaube, wenn du den Menschen im Krankenhaus beistehst?

Fischer-Kremer: Gottvertrauen ist so wichtig für meine Arbeit. Ich weiss nicht, wie ich mit der Konfrontation umgehen könnte, die die Begleitung von so vielen Menschen in schweren Momenten bedeutet, wenn ich nicht die Hoffnung oder den Trost des Glaubens hätte. Mir ist noch einmal neu klar geworden, was das für eine Kraft und Ressource ist.

Das Gebet und Momente der Stille und des Hinhaltens vor Gott helfen mir, dass ich nach Begegnungen auch wieder loslassen kann. Wenn ich manchmal zu viel bei anderen war und zu wenig auf mich selbst geachtet habe, dann merke ich das nach einer Weile. Dann ist es meist mein Körper, der mir ein Zeichen gibt.

Metzner:  Was bewegt dich zurzeit besonders?

Fischer-Kremer: Überlegungen dazu, wie wir in den kommenden Wochen der Advents- und Weihnachtszeit möglichst viele Menschen mit der Freude der Weihnachtsbotschaft erreichen können. Wir alle brauchen  in diesen Wochen Zuspruch, Hoffnung und Licht - gerade die, die krank und hilfsbedürftig sind.

Besonders freue ich mich gerade darüber, dass wir in der Seelsorge von nun an ein Team sind - seit dem 1.November arbeiten Pfarrer Dr. Jürgen Hofmann aus Pratau und ich gemeinsam im Stift. In einem guten Team wird die Arbeit noch viel besser gehen!

Metzner: Vielen Dank für das Gespräch!