24.01.2017
Tatort Leistungsgesellschaft: Die Gewinntexte stehen fest

Erste Preise für Kurzessay aus Gräfenhainichen und Klostererzählung aus Ostfriesland

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

die Auswahl aus 317 Texten fiel nicht ganz leicht, aber nun stehen die Preisträgerinnen von sola scriptura 2017 fest. Von den 317 Autorinnen und Autoren im Alter von acht bis 87, die Luthers Leistung als Provokation für die Leistungsgesellschaft schreibend aufnahmen, hat die Jury nach einiger Diskussion je drei Beiträge von Jugendlichen und Erwachsenen auserkoren:

Teilnehmerinnen unter 18 Jahren

  • 1. Preis: 3TÄGIGE SCHREIBWERKSTATT Bemerkungen zu den Leistungen Martin Luthers - Eine kurze Provokation, Kurzessay von Isa Susan Doege,
    16 Jahre, Kemberg/Sachsen-Anhalt

  • 2. Preis: ABRAFAXE-JAHRES-ABO Blickbohrmaschine, Kurzgeschichte der 15jährigen Clara Deifel aus dem baden-württembergischen Ostfildern

  • 3. Platz: 100-EURO-BÜCHERGUTSCHEIN Wo gehst du hin und Das pure Leben, zwei lyrische Texte der Wittenberger Gymnasiastin Emily Kósa,
    17 Jahre

    Teilnehmerinnen über 18 Jahre

  • 1. Preis WITTENBERGER ENTDECKERTOUR FÜR 2 PERSONEN (2 Übernachtungen im Lutherhotel: Die zwölfte Nonne, Kurzgeschichte von Jutta Oltmanns, Jg. 1964, aus Moormerland/Niedersachsen

  • 2. Preis: FAMILIEN-KOMBI-TICKET WELTAUSSTELLUNG 2017 + NATIONALE SONDERAUSSTELLUNG "LUTHER! 95 SCHÄTZE - 95 MENSCHEN" MIT CAFÉ-GUTSCHEIN für Was ich nicht kann, Gedicht von Susanne Brandt, Jg. 1964, Flensburg/Schleswig-Holstein

  • 3. Preis: 100-EURO-BÜCHERGUTSCHEIN für Meine selbstgebastelten Preisschilder und wie schwer es ist, sie abzuknibbeln, Lyrik von Lavinia Rütten, 18 Jahre, aus Krefeld/NRW

    U und Ü18

  • Sonderpreis GRUPPENSATZ BÜCHER MIT TEXTEN VON JUNGEN TALENTEN für die Klostertexte einer Schüler*innengruppe des Wernigeroder Gymnasiums mit der Lehrerin Susanne Ristau; Sonderpreis des Friedrich-Boedecker-Kreises

Luthers Leistung als Provokation für die Leistungsgesellschaft

Um die Relevanz des für Sie womöglich sperrig wirkenden Themas zu verdeutlichen, möchte ich Sie etwas fragen: Haben Sie am Sonntag den „Tatort“ gesehen? Dann ist Ihnen vielleicht aufgefallen, was (oder wer) in diesem Fernsehspiel fehlt: Gott. Es gibt auch kaum Barmherzigkeit darin, und wo eine solche sich trotzig dennoch zeigt, verwendet die Geisteskraft des Gewalttäters, sekundiert von seiner Soziologieprofessorin, viel Mühe darauf, Mitgefühl – und überhaupt jedes Gefühl – als obsolet erscheinen zu lassen angesichts des Leistungsdruckes, dem „das System“ alle Menschen unterwirft. Betroffenheit bzw. Mitmenschlichkeit, so die „Tatort“-These, ergänzen sich mit jenem fortwährenden und unausweichlichen Druck aufs Trefflichste, um „das System“ am Laufen zu halten.

Leistungsdruck als Nährboden für Gewalt und Selbstzerstörung

„Wichtig ist nicht, wer du bist“, sagt da der erfolgreiche Vater zum revoltierenden Vorzeigesohn, „sondern was du bist“. Allein die Leistung zähle, und selbst, wenn sie im Übermaß erbracht wird, ist nie sicher, dass diese Anstrengung reicht, um nicht zu den „Abgehängten“ zu gehören. Auch Martin Luther quälte in seiner Höllenangst stets der Zweifel, ob sein unablässiges Beten und Fasten reichte – es war nie genug. Er würde immer fehlbar bleiben, egal, wie sehr er sich mühte, wie viele Bußleistungen und Glaubensbeweise er auch erbrachte. So wie die Kirche damals die Gläubigen nötigte, sich zu ängstigen, sich selbst zu verletzen und zu quälen, wird heute die Leistungsgesellschaft zum Tatort. „Das System“ nötigt seine Opfer, zu Gewalttätern zu werden, zu Versagern, Selbstverletzern oder überforderten Pflichterfüllern. Der in letzter Sekunde verhinderte Mord im „Tatort“ vom Sonntag wäre Notwehr gewesen. Gewalttaten sind nur die Spitze des eisigen Opferberges, den diese kalte Umgebung fordert. Der „Tatort“ offenbart auf beklemmende Weise die selbstzerstörerischen Tendenzen „leistungsgerechten“ Funktionierens. sola scriptura 2017 bringt die Gnade ins Spiel

Unser Schreibwettbewerb lässt jedoch Gott nicht aus dem Spiel. sola scriptura 2017 nimmt Martin Luther zum Zeugen und Beistand. Der Reformator hatte, genötigt von seiner Angst, das Konzept der Gnade wiederentdeckt: als notwendige Voraussetzung tatsächlich gelingenden Lebens. Es handelt sich um die Zusage, dass jeder Mensch angenommen, dass jeder wertvoll ist – vor jeder Leistung. Denn Leistung und „Erfolg“ sind nur bedingte Zuschreibungen, während Gnade die unbedingte Zusage ist, die über menschliches Vermögen hinausgeht – eben nicht verfügbar, nicht verdienbar, sondern Geschenk.

Mit diesem Geschenk haben sich unsere 317 Texte vielfältig auseinandergesetzt – und mit der Schwierigkeit, es unter heutigen Lebens- und Wirtschafts- und Glaubensbedingungen anzunehmen. Was ist denn heute ein Mensch unabhängig von seiner Leistung überhaupt wert?

Einige der eingereichten Texte verdienen darüber hinaus besondere Erwähnung. Es ist vorgesehen, die Beiträge in lockerer Folge auf unserer Webseite vorzustellen. Weitere rund 90 Autorinnen und Autorinnen haben wir angefragt für unsere geplante Publikation zum Schreibwettbewerb, deren Fertigstellung für den Tag der Preisverleihung am 1. April 2017 im Wittenberger Lutherhaus vorgesehen ist. Auch darüber halten wir Sie gerne auf dem Laufenden. Wir bedanken uns herzlich bei allen Teilnehmenden für den Mut und die Bereitschaft zum Mitschreiben, bei unseren Partnern und Sponsoren – und bei Ihnen für die kollegiale Berichterstattung.

Katharina Körting, Reformationsbeauftragte des Ev. Kirchenkreises Wittenberg

Mehr Informationen:
http://2017.kirchenkreis-wittenberg.de/mitmachen/schreibwettbewerb